In einem fünftausend Seelendorf lebt die kleine
Rosemarie mit ihrer Familie. Den Eltern, Bruder, Großeltern und drei Großtanten. Die Großeltern haben einen kleinen Bauernhof, den sie zusammen mit den Großtanten bewirtschaften. Der Vater arbeitet im Bergwerk. Auch Großvater hatte schon im Bergwerk gearbeitet. Doch jetzt war er in Rente und hatte Zeit sich um den Hof und die Tiere zu kümmern. Dem kleinen Mädchen brachte er schon im Kindesalter bei den Tieren mit Respekt zu begegnen. Er nahm sie auch oft mit in den Wald erklärte ihr die Pflanzen, die Kraft und die Ruhe der Bäume, dass sie leben,- du musst nur genauer hin hören und du hörst sie reden, sagte er ihr. Und sie hat auch später nie die Achtung vor der Natur oder den Tieren verloren. Sie liebte ihren Großvater und verbrachte viel Zeit mit ihm.
Doch am schönsten fand sie es wenn an den Wochenenden die ganze Familie zusammen saß. Abends nach dem Abendbrot wurden Geschichten und Märchen erzählt, vor allem die Geistergeschichten faszinierten die zwei Kinder. Wenn diese erzählt wurden hingen die Augen der Kinder an den Lippen des Erzählers und heimlich legten sie ihre Füße auf den Tisch - es könnte ja ein Geist darunter sitzen und nach ihnen grabschen.
Es waren vor allem die Winterabende die sie so sehr liebte. Irgendwann während den Geschichten  wurde sie müde und schlief ein, die Mutter brachte sie ins Bett und deckte sie liebevoll zu.
Auch heute ist so ein herrlicher Abend und morgen hat die Kleine Geburtstag, ihr fünfter. An diesem Tag will sie alle überraschen. Seit einem halben Jahr übt sie mit ihrer Großtante Ann fleißig das lesen. Es war ihr eigener Wunsch, denn die Erwachsenen hatten oft nicht die  Zeit ihr ein Märchen oder Geschichte zu erzählen und der sechs Jahre ältere Bruder zieht sie immer wieder damit auf, dass sie noch nicht selbst lesen kann. So schnappte sie sich ihr Märchenbuch und bat die Tante Ann sie das Lesen zu lehren. Damals schlug diese ihre Hände über dem Kopf zusammen und sagte: Rosemarie, du bist noch viel zu klein zum lesen, komm ich erzähle dir eine Geschichte. Die Kleine schüttelte ihren Kopf und bestand darauf, das Lesen zu erlernen. Sie gab sich sehr viel Mühe, war mit soviel Feuereifer dabei, dass es auch ihrer Tante Spaß machte. Und mit großer Begeisterung liest sie seit neuestem ihrer Tante die Geschichten vor - noch ist es ihr Geheimnis. Das kleine Mädchen hatte aus Neugier und Wissensdurst den Zauber der Worte sehr schnell gelernt.
Am Morgen ihres Geburtstages, es ist Sonntag, sitzt die ganze Familie am Tisch und wartet auf die Kleine. Die ist sehr aufgeregt. Mit einem Buch in ihren Händen betritt sie die Küche und da sitzen sie, die Eltern, der Bruder, die Großeltern und die Großtanten. Heute, sagte die Kleine, an meinem fünften Geburtstag möchte ich euch überraschen. Ich werde euch etwas vorlesen. Stolz reckt sie die Schulter in die Höhe, schlägt das Buch auf und beginnt die Geschichte von der heiligen Nacht vor zu lesen. Bis auf Tante Ann sitzen alle still und sprachlos da, sie hören einfach nur zu. Nachdem die Geschichte beendet war, schaute Rosemarie voller Stolz in die Gesichter ihrer Lieben. Die Mutter nahm sie in den Arm und sagte: Mein Schatz, ich bin sprachlos, du kannst lesen, das ist einfach wunderbar, wer und wo hast du es gelernt, du bist ein kleiner Schelm und hast uns nichts verraten. Ich bin sehr stolz auf dich mein kleines Mädchen. Glücklich legt die Kleine ihre Ärmchen um den Hals ihrer geliebten Mutter, drückt sich fest an sie und gibt ihr selig ein Küsschen.
Für sie wurde es ein glücklicher und schöner Geburtstag.
Von dieser Zeit an las sie alles was sie in die Hände bekam. Märchen, Geschichten, Sagen, Legenden, sie konnte nicht genug bekommen. Und das Lesen beflügelte ihre Phantasie. Sie dachte sich selbst Geschichten und Märchen aus und konnte dabei so wunderbar träumen. Bis heute, Jahrzehnte später hat sie das Lesen beibehalten. Auch denkt sie sich noch immer Märchen und Geschichten aus, lässt ihrer Phantasie freien lauf. Der Wissensdurst des kleinen Mädchens beflügelt sie noch